Der Gemeinschaft verpflichtet
Der Gemeinschaft verpflichtet
Zum 75. Todestag Dietrich Bonhoeffers am 09.04.2020
Heute ist Gründonnerstag, der Tag der Einsetzung des Heiligen Abendmahls und zugleich der 75. Todestag Dietrich Bonhoeffers. Am 9. April 1945, kurz vor Kriegsende, ließ der evangelische Theologe und Widerstandskämpfer im Konzentrationslager Flossenbürg sein Leben, weil er Gott mehr gehorchte als den herrschenden Menschen. 1943 verhaftet die Gestapo Bonhoeffer wegen Wehrkraftzersetzung. Nach dem 20. Juli 1944 gelingt es ihr, ihm die Beteiligung am Widerstand gegen Hitler nachzuweisen. Damit war sein Tod besiegelt. Dennoch strahlte Bonhoeffer bis zuletzt unerschütterlichen Glauben und Zuversicht aus:
Von guten Mächten wunderbar geborgen,
erwarten wir getrost, was kommen mag.
Gott ist bei uns am Abend und am Morgen
und ganz gewiß an jedem neuen Tag.
„Von guten Mächten treu und still umgeben“ ist Bonhoeffers letzter theologischer Text, den wir kennen. Das Gedicht, das er im Dezember 1944 verfaßte, hat als Lied sowohl in das Evangelische Gesangbuch als auch in das katholische Gotteslob Eingang gefunden. Der vatikanische Kurienkardinal Gerhard Ludwig Müller würdigte jetzt Dietrich Bonhoeffer als „Märtyrer der ganzen Christenheit“. In seinem Leiden und Sterben stellt Bonhoeffer sich in eine Reihe mit all den Märtyrern, die für ihren Glauben in den Tod gegangen sind:
Und reichst du uns den schweren Kelch, den bittern
des Leids, gefüllt bis an den höchsten Rand,
so nehmen wir ihn dankbar ohne Zittern
aus deiner guten und geliebten Hand.
Diese Strophe singen wir mit. Doch sind wir wirklich bereit, Leid „ohne Zittern“ anzunehmen? Bleibt das nicht eher ein frommer Wunsch? Selbst Jesus hat vor seiner Gefangennahme heftig gebangt. Nach dem Heiligen Abendmahl geht er mit seinen Jüngern in den Garten Gethsemane. Der Evangelist Markus berichtet, wie Jesus dort anfängt „zu zittern und zu zagen“ (Mk 14,33). Er entfernt sich von seinen Jüngern. Allein betet und bittet er: „Vater, alles ist dir möglich; nimm diesen Kelch von mir.“
Allerdings geschieht mit Jesus, während er betet, eine Veränderung. Er erkennt, daß er als wahrer Mensch keine Macht über den wahren Gott hat. Schließlich spricht er zu seinem Vater: „Doch nicht, was ich will, sondern was du willst!“ (Mk 14,36) Jesus zittert nun nicht mehr. Was er einst seinen Jüngern gepredigt hat, das gilt auch für ihn selbst: „Denn wer sein Leben behalten will, der wirdʼs verlieren; und wer sein Leben verliert um meinetwillen und um des Evangeliums willen, der wirdʼs behalten.“ (Mk 8,35)
Universität oder Gemeinde? Ausland oder Deutschland? Flucht oder Widerstand? Vom Zitterer zum Bezeuger: Diesen Wandel durchlebte auch Bonhoeffer. Die Sprache half ihm dabei. Beflügelt von menschlichen Begegnungen verfaßte er poetische, verständliche und eingängige theologische Texte, die bis heute ihre Kraft entfalten.
Doch willst du uns noch einmal Freude schenken
an dieser Welt und ihrer Sonne Glanz,
dann wolln wir des Vergangenen gedenken,
und dann gehört dir unser Leben ganz.
Gedenken wir also des Vergangenen, gedenken wir Bonhoeffers. Am 4. Februar 1906 kommt er in Breslau als sechstes von acht Kindern zur Welt, zusammen mit seiner Zwillingsschwester. Dietrich wächst in bürgerlichen Verhältnissen auf. 1912 zieht die Familie nach Berlin. Der Vater ist Professor und leitet die Nervenklinik der Universität; die Mutter unterrichtet als ausgebildete Lehrerin ihre eigenen Kinder selbst.
1923 beginnt Dietrich in Tübingen, Theologie zu studieren. Sein Weg führt ihn 1924 nach Rom und in den Vatikan, wo er ein tiefes Verständnis für den Katholizismus entwickelt. Hier wird der Grundstein für seine ökumenische Haltung gelegt. 1927/28 reicht Bonhoeffer in Berlin seine Doktorarbeit ein, die Theologie und Soziologie miteinander verbindet und 1930 veröffentlicht wird. Das Thema lautet „Sanctorum Communio“ (Gemeinschaft der Heiligen).
Das Wort „Gemeinschaft“ könnte eine Überschrift für Bonhoeffers Leben sein. Die Gemeinschaft in der Familie und mit Freunden prägte ihn bereits als jungen Menschen. Für Bonhoeffer stellt Jesus Christus die Gemeinschaft mit Gott wieder her. Sie findet ihren Ausdruck in der Kirche: „Christliche Gemeinschaft ist eine der größten Gaben, die Gott uns gibt.“ Wie trifft uns dieses Wort in Corona-Zeiten, in denen die Supermärkte scheinbar wichtiger sind als die Gottesdienste. Doch kann der Mensch wirklich vom Brot allein leben?
Als Vikar in Barcelona geht Bonhoeffer auf die Menschen zu, ist in den deutschen Vereinen aktiv, und im Gegenzug füllen sich seine Gottesdienste. Besonders erfolgreich ist er im Umgang mit Kindern und Jugendlichen. Während eines Studienjahrs am Theologischen Seminar in New York lernt er durch seine Mitarbeit auch die Gottesdienstformen der Schwarzen kennen. Nach seiner Rückkehr wird er 1931 in Berlin Studentenpfarrer und Privatdozent an der Universität. Besonders kümmert er sich um eine Konfirmandengruppe aus einem sozialen Brennpunkt im Prenzlauer Berg. Doch dann wird ein dunkles Kapitel für Deutschland aufgeschlagen.
Laß warm und hell die Kerzen heute flammen,
die du in unsre Dunkelheit gebracht,
führ, wenn es sein kann, wieder uns zusammen.
Wir wissen es, dein Licht scheint in der Nacht.
Die Machtergreifung bringt Bonhoeffer sofort in Gegensatz zu den Nationalsozialisten. Die Übertragung seines Radiovortrags am 1. Februar 1933 wird nach dem Satz „Führer und Amt, die sich selbst vergotten, spotten Gottes“ abgebrochen. Bonhoeffer setzt sich für die Juden ein und gehört zu den ersten Mitgliedern des Pfarrernotbundes, der sich gegen den Arierparagraphen in der Deutschen Evangelischen Kirche wendet. Er geht auf eine Pfarrstelle in London, was er jedoch schon bald bereut. Er spürt, daß sein Platz jetzt in Deutschland ist.
Auf Bitten der oppositionellen Bekennenden Kirche kehrt er daher 1935 nach Deutschland zurück. In der Nähe von Stettin leitet er das Predigerseminar der Bekennenden Kirche, das die Gestapo jedoch 1937 schließt. Die Arbeit mit den jungen Menschen geht allerdings im Untergrund weiter. Bevor er 1940 Rede- und Schreibverbot erhält, veröffentlicht Bonhoeffer die Schrift „Gemeinsames Leben“. Hier schreibt er in verdichteter Form seine theologischen Gedanken und Erkenntnisse nieder, die er in der Gemeinschaft mit den angehenden Predigern gewonnen hat. Die Schrift schließt mit seinen Gedanken zum Abendmahl:
Der Tag des Abendmahls ist für die christliche Gemeinschaft ein Freudentag. Im Herzen versöhnt mit Gott und den Brüdern empfängt die Gemeinde die Gabe des Leibes und des Blutes Jesu Christi und in ihr Vergebung, neues Leben und Seligkeit. Neue Gemeinschaft mit Gott und Menschen ist ihr geschenkt. Die Gemeinschaft des heiligen Abendmahls ist die Erfüllung der christlichen Gemeinschaft überhaupt. So wie die Glieder der Gemeinde vereinigt sind in Leib und Blut am Tische des Herrn, so werden sie in Ewigkeit beieinander sein. Hier ist die Gemeinschaft am Ziel. Hier ist die Freude an Christus und seiner Gemeinde vollkommen. Das gemeinsame Leben der Christen unter dem Wort ist im Sakrament zu seiner Erfüllung gekommen.
Die Bedeutung des Abendmahls und sein Fehlen wird uns gerade heute am Gründonnerstag schmerzlich bewußt. „Er hat ein Gedächtnis gestiftet seiner Wunder, der gnädige und barmherzige Gott.“ (Psalm 111,4) Schenke uns Gott, daß wir das Abendmahl bald wieder miteinander feiern dürfen.
Autor: Thomas Paulwitz